Hinter den Kulissen eines dezentral organisierten Pflanzenkohleprojekts in Indien
Blog von Nikita Skopincev und Lia Flury
Pflanzenkohle erhält aktuell viel Aufmerksamkeit als effektive Technologie zur Speicherung von atmosphärischem Kohlenstoff und ihrem Potenzial für den globalen Klimaschutz. Neben großskaligen Projekten zur Herstellung von Pflanzenkohle im industriellen Maßstab rücken dabei immer häufiger auch handwerklich geprägte und dezentral organisierte Pflanzenkohleprojekte im Globalen Süden in den Fokus, in denen kleinbäuerliche Haushalte Pflanzenkohle manuell erzeugen. Lia Flury und Nikita Skopincev aus dem Technical Removal Solutions-Team von First Climate erklären, was hinter der handwerklichen Pflanzenkohleproduktion steckt.
Pflanzenkohle wird durch das Erhitzen von Biomasse-Rückständen unter Ausschluss von Sauerstoff (Pyrolyse) bei sehr hoher Temperatur hergestellt. Dieser Prozess wandelt die Biomasse in Pflanzenkohle um. In vielen ländlichen Regionen der Welt ist es üblich, dass Rest-Biomasse aus der landwirtschaftlichen Produktion noch auf dem Feld abgebrannt wird. Das betrifft zum Beispiel z.B. Baumwollstängel, Zuckerrohr-Reste oder Reisstroh. Das Verbrennen auf offenem Feld stellt nicht nur eine Verschwendung wertvoller natürlicher Ressourcen dar, sondern erzeugt auch Rauch, der die Gesundheit der Menschen vor Ort und die lokale Luftqualität beeinträchtigt. Außerdem wird der in der Biomasse enthaltene Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt.
Hier setzen Projekte zur manuellen Produktion von Pflanzenkohle an. Dabei handelt es sich fast immer um dezentral organisierte Klein- und Kleinst-Projekte, die lokal verfügbare Biomasse-Reststoffe in wertvolle Pflanzenkohle umwandeln, indem sie traditionelle Methoden der Holzkohleherstellung mit modernen Erkenntnissen und Techniken kombinieren. Zu diesem Zweck zielen Kleinprojekte zur Pflanzenkohleproduktion darauf ab, Landwirte mit Werkzeugen und Technologien auszustatten, die es ihnen ermöglichen, Pflanzenkohle durch Pyrolyse vor Ort mit traditionellen Methoden wie Erdgruben- oder Graben-Feuern herzustellen. Bei der richtigen Anwendung der notwendigen Techniken lässt sich die Freisetzung von Kohlenstoff gegenüber der Verbrennung auf offenem Feld deutlich reduzieren: Durch die kontrollierte Umwandlung von Biomasse in Pflanzenkohle wird der Kohlenstoff, der der Atmosphäre während des Pflanzenwachstums entzogen wurde, dauerhaft in der erzeugten Pflanzenkohle gespeichert. Ein wichtiges Kennzeichen solcher dezentral organisierten, manuellen Herstellungsverfahren ist außerdem, dass sie zumeist von den regionalen Dorfgemeinschaften ausgehen, bzw. in enger Kooperation mit diesen durchgeführt werden.
Obwohl sich Projekte zur manuellen Pflanzenkohle-Herstellung in diesen Punkten deutlich von industriellen Pflanzenkohleprojekten, wie sie beispielsweise in Europa oder Nordamerika umgesetzt werden, unterscheiden, haben doch beide Ansätze großes Potenzial für den weltweiten Klimaschutz. Auch bei den Aktivitäten von First Climate spielt die Entwicklung der sogenannten „Artisanal Biochar“-Projekte, neben den etablierten industriellen Pflanzenkohleprojekten, wie dem Schweizer Pflanzenkohleprogramm oder dem CARBONITY-Projekt in Kanada, eine zunehmend wichtigere Rolle.
Projektbeispiel: Kleinbäuerliche Pflanzenkohle-Produktion in Odisha, Indien
First Climate arbeitet weltweit mit verschiedenen Projekten zusammen, in deren Rahmen Pflanzenkohle manuell hergestellt wird. Eines dieser Projekte ist unser Partnerprogramm zur dezentralen, handwerklichen Pflanzenkohleproduktion, das sich über mehrere Regionen im ländlichen Indien erstreckt, in denen die kleinbäuerliche Agrarwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Es wird gemeinsam von unseren Partner-Organisationen Carboneers und der indischen SRC Natura Products Ltd. entwickelt und umgesetzt.
Die hier gezeigten Bilder wurden im Frühjahr 2024 während unseres letzten Besuchs in Odisha aufgenommen. Sie illustrieren sehr gut, wie dezentrale, handwerkliche Pflanzenkohleprojekte funktionieren. Das Projekt arbeitet eng mit lokalen Kleinbauern in den Dörfern des Bundesstaates zusammen, um landwirtschaftliche Biomasseabfälle durch Pyrolyse mit handwerklichen Methoden in Pflanzenkohle umzuwandeln. Lokale Institutionen bauen dazu ein aktives Netzwerk lokaler kleinbäuerlicher Betriebe auf und stellen Werkzeuge, Ausbildung, Technologie und Wissen zur Verfügung, um Pflanzenkohle manuell in Erdgruben herzustellen, die zu modularen Pyrolyseanlagen ausgebaut werden.
Es war für uns beeindruckend zu sehen, mit welcher Hingabe, Überzeugung und mit welchem Engagement die Bauern an den Projektaktivitäten teilnehmen und sich einbringen. Wir besuchten die Projektstandorte zur Trockenzeit im Mai, wenn in Odisha optimale Produktionsbedingungen herrschen, da das Rohmaterial für die Verarbeitung trocken sein muss. Die im Rahmen des Projekts produzierte Pflanzenkohle mischen die teilnehmenden Landwirte mit Kompost oder Dung und bringen sie in den Ackerboden ein, wodurch die Kapazität zur Kohlenstoffspeicherung sowie die Wasser- und Nährstoff-Rückhaltefähigkeit des Bodens deutlich gesteigert werden. Unter anderem können so auch Mango-Bäume auf den Ackerflächen erfolgreich angepflanzt werden. Die langfristigen Vorteile der Herstellung und Verwendung von Pflanzenkohle werden so für die Dorfgemeinschaften im Projektgebiet und die Menschen vor Ort direkt nachvollziehbar. Verbesserte Bodengesundheit und Bodenfruchtbarkeit, höhere Ernteerträge und eine bessere Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel sind nur einige der positiven Auswirkungen dieses Projekts.
Natürlich gibt es auch einen massiven positiven Effekt für das Klima. Jährlich werden durch das Projekt mehr als 50.000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre gebunden. Darüber hinaus profitieren die Bauern von den Einnahmen aus dem Projekt durch den Verkauf von Emissionsgutschriften auf dem freiwilligen CO2-Markt, wodurch eine zusätzliche Einkommensquelle geschaffen und das Wirtschaftswachstum in der Region gefördert wird. Auf diese Weise konzentriert sich die handwerkliche Pflanzenkohleproduktion auf lokales Engagement, fördert eine nachhaltige Landwirtschaft und sorgt für eine dauerhafte Kohlenstoffbindung, während sie gleichzeitig die Lebensgrundlagen der ländlichen Gemeinden verbessert.
Monitoring des Projektfortschritts in Odisha
Dezentral organisierte Projekte wie das in Odisha erfordern aufgrund der großen Zahl der Beteiligten einen höheren Aufwand beim Monitoring der Projektergebnisse. Allein im vorliegenden Fall könnte die die Zahl der teilnehmenden Landwirte innerhalb von 3 bis 5 Jahren von 1.000 auf 120.000 ansteigen. Die Projektpartner Carboneers und SRC Natura bringen ihre Expertise bei der Überwachung und Verifizierung der Projektergebnisse und der Ausstellung der daraus resultierenden CO2-Zertifikate ein. Besonders wichtig für dezentrale Projekte wie dieses ist die Einführung von gründlichen digitalen Monitoring-, Reporting- und Verifizierungssystemen (dMRV), die auf die Realitäten der kleinbäuerlichen Produktion zugeschnitten sind, sowie die Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit durch umfassende Datenerfassung.
Für das Odisha-Projekt wurde eigens ein individuelles dMRV-System entwickelt: Das Monitoring des Projekts erfolgt mit Hilfe modernster digitaler Lösungen über eine App, in deren Nutzung die Bauern geschult werden. Die App ermöglicht digitale Feuchtigkeits- und Temperaturmessungen, sie bietet außerdem dMRV-Verfahren zur Kohlenstoff-Bestimmung, Zahlungsbelege, Bilder mit Geolokalisierung und andere automatisierte Funktionen. Als Teil der Aktivitäten werden Fragebögen an die teilnehmenden Landwirte verteilt, um die Messung des quantitativen Nutzens der Projektaktivitäten weiter zu verbessern.
Vorbild für weitere Pflanzenkohle-Projekte im Globalen Süden
Es ist immer wieder faszinierend, live und aus erster Hand mitzuerleben, wie vielfältig die positiven Wirkungen der Projekte sind, mit denen wir zusammenarbeiten. Aber das Projekt in Odisha sticht für uns in vielerlei Hinsicht hervor. Seine Wirkung geht weit über die reine Kohlenstoffbindung hinaus, indem es verdeutlicht, dass Pflanzenreste kein Abfall sind, sondern durch richtige Verarbeitung einen wertvollen Rohstoff und ein wichtiges Mittel im Kampf gegen den Klimawandel darstellen.
Wir sind zuversichtlich, dass das Projekt in Odisha als Vorbild für zukünftige ähnliche Projekte in Indien und darüber hinaus dienen kann und dazu beitragen wird, die Verbreitung von Pflanzenkohle als effektiver Technologie zur Kohlenstoffbindung weiter voranzutreiben!
Für weitere Fragen zum Projekt steht Ihnen das Technical Removals-Team von First Climate gerne zur Verfügung!
Was ist Pflanzenkohle und welche Vorteile hat sie?
Pflanzenkohle ist ein kohlenstoffreiches, holzkohleähnliches Material, das aus Restbiomasse durch Pyrolyse hergestellt wird, einem thermochemischen Prozess, der energieautark unter Ausschluss von Sauerstoff abläuft. Dieser Prozess stabilisiert nicht nur den Kohlenstoffgehalt der Biomasse (über einen Zeitraum von Jahrhunderten bis Jahrtausende), sondern erzeugt auch ein vielseitig einsetzbares Produkt – Pflanzenkohle – das viele Vorteile bietet. Pflanzenkohle kann beispielsweise eingesetzt werden, um die Bodenstruktur von landwirtschaftlich genutzten Flächen zu verbessern, die Wasser- und Nährstoffspeicherung zu erhöhen und die Bodenerosion zu verringern. Durch ihre poröse Struktur bietet sie zudem Lebensraum für nützliche Bodenmikroorganismen, was zu gesünderen und produktiveren Böden führt. Diese Eigenschaften machen Pflanzenkohle zu einer attraktiven Lösung nicht nur für die Kohlenstoffbindung, sondern auch für die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Neben der Anwendung im Boden hat Pflanzenkohle auch in anderen Bereichen ein erhebliches Potenzial, wie der jüngste EBI Biochar Market Report des European Biochar Industry Consortium zeigt. Sie kann beispielsweise als Zusatzstoff für Baustoffe wie Beton und Asphalt dienen, in denen Kohlenstoff langfristig gespeichert werden kann.
Über die Autoren und Autorinnen
Nikita Skopincev ist Junior Project Manager bei der First Climate Projektentwicklung GmbH und bringt seine Expertise im Bereich CO2-Senkenlösungen sowohl im Team Technical Removal Solutions (TRS) als auch im Nature-Based Solutions (NBS)-Team von First Climate ein. Im TRS-Team liegt sein aktueller Fokus auf Pflanzenkohle-projekten und im Bereich „Early Stage“ CDR-Initiativen.
Mit seinem akademischen Hintergrund in Geo- und Materialwissenschaften, mit einem Schwerpunkt in Mineralogie und Zement, bringt Nikita wertvolles Fachwissen in die Entwicklung und Umsetzung innovativer Klimaschutzprojekte ein.
Lia Flury ist Leiterin des TRS-Teams der First Climate Projektentwicklung GmbH und verfügt über umfangreiche Erfahrung im freiwilligen CO2-Markt und bei der Entwicklung von CO2-Senkenprojekten.
Mit einem Master-Abschluss in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften kombiniert Lia Planungskompetenz mit praktischer Expertise, insbesondere im Bereich pflanzenkohlebasierter CO2-Senkenprojekte.