Doppelte Wesentlichkeitsanalyse: Bewertung von Impact, Risiken und Chancen im ESG-Bereich
Mit Inkrafttreten der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU ist auch die Doppelte Wesentlichkeit als wesentliche Messgröße für Nachhaltigkeitswirkungen in den Fokus der Aufmerksamkeit von Markt-Beobachtenden und betroffenen Unternehmen getreten. Eine umfassende Analyse der Doppelten Wesentlichkeit im Rahmen eines strukturierten Prozesses ist der Schlüssel zur erfolgreichen Erfüllung der CSRD-Berichtspflichten, denn sie liefert die Grundlage für alle nachgelagerten Aufgaben im Rahmen der nicht-finanziellen Berichterstattung. Für von der CSRD-Berichtspflicht betroffenen Unternehmen ist es deshalb unerlässlich, sich mit den Grundzügen der Doppelten Wesentlichkeit vertraut zu machen. Aufgrund der Abstraktheit des Konzeptes und der – je nach Nachhaltigkeits-Standard leicht unterschiedlichen Definitionen – ist es aber gar nicht so leicht in Sachen „Doppelte Wesentlichkeit“ den Durchblick zu behalten. Im Folgenden Beitrag haben wir die wichtigsten Fakten rund um die Doppelte Wesentlichkeit aus Praxissicht für Sie zusammengestellt.
Was ist Doppelte Wesentlichkeit?
Das Konzept der Wesentlichkeit im Sinne der Nachhaltigkeitsforschung betrifft die Frage, ob und und wenn ja inwiefern Ihr Unternehmen wesentliche Auswirkungen auf die Außenwelt in Bezug auf die ESG-Bereiche Umwelt, Soziales und Governance hat. Bei der Doppelten Wesentlichkeit wird außerdem analysiert, ob und welchen Einfluss die Außenwelt umgekehrt auf Ihr Unternehmen ausübt.
Um eine Doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchführen zu können, müssen Unternehmen zunächst Bereiche Ihrer Geschäftstätigkeit identifizieren, die eine Wesentlichkeit im Hinblick auf Nachhaltigkeits-Wirkungen aufweisen. Der dafür notwendige Prozess beinhaltet eine eingehende Analyse der Geschäftstätigkeiten und -beziehungen, wie z.B. Produkte oder Dienstleistungen, Standorte sowie Details der Wertschöpfungskette. Auch das Verständnis des relevanten rechtlichen und regulatorischen Umfelds sowie die Durchsicht externer Quellen, wie z.B. Medienberichte, sind wichtige Aspekt bei der Durchführung der Doppelten Wesentlichkeitsanalyse. Idealerweise erfolgt die Prüfung der Materialität in Bezug auf die relevanten Kategorien in Zusammenarbeit mit erfahrenen Nachhaltigkeitsexperten, die Sie darüber informieren können, welche Dokumente benötigt werden, und die sie bei der Stakeholderanalyse (interne, externe und verbundene Stakeholder) unterstützen.
Im Sinne der CSRD gilt allerdings eine spezifischere Definition. Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) definiert die Doppelte Wesentlichkeit wie folgt:
„Die Wesentlichkeitsprüfung ist der Prozess, durch den das Unternehmen die wesentlichen Angelegenheiten und Informationen ermittelt, über die in der Nachhaltigkeitserklärung berichtet werden soll. Die Durchführung einer objektiven Wesentlichkeitsprüfung ist von zentraler Bedeutung für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die relevante und wahrheitsgemäße Informationen über alle Auswirkungen, Risiken und Chancen (IROs) in Bezug auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte enthalten muss, die im Hinblick auf Wirkungen oder Umfang der relevanten Finanzströme oder unter beiden Gesichtspunkten als wesentlich eingestuft werden.“
– EFRAG (2023). Implementation guidance for the materiality assessment
Was genau bedeutet nun aber „wesentlich“? Werfen wir zur Klärung dieser Frage einen Blick auf die Perspektiven finanzieller und wirkungsabhängiger Wesentlichkeit.
-> Wirkungsperspektive (Impact Materiality):
Diese Perspektive wird auch Inside-Out-Perspektive genannt und umfasst tatsächliche oder potenzielle kurz-, mittel- oder langfristige positive oder negative Auswirkungen auf Menschen oder die Umwelt.
-> Finanzielle Perspektive (Financial Materiality):
Diese Perspektive wird auch als Outside-In-Perspektive bezeichnet. Sie bewertet generierte Risiken oder Chancen, die den Cashflow, die Entwicklung, die Leistung, die Position, die Kapitalkosten oder den Zugang zu Finanzmitteln kurz-, mittel- oder langfristig beeinflussen.
Zusammen bilden diese beiden Perspektiven eine Doppelte Wesentlichkeitsbewertung, die ein besseres Bild der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen ESG-Performance Ihres Unternehmens für Sie selbst und Ihre Stakeholder liefert.
Warum ist eine Doppelte Wesentlichkeitsanalyse wichtig für die CSRD?
Eine Doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist im Rahmen der CSRD von entscheidender Bedeutung, weil sie die primären Nachhaltigkeitsaspekte für Ihr Unternehmen identifiziert und definiert, über welche der relevanten Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS) Sie im Rahmen der CSRD berichten müssen.
Häufig sind es die Berichtspflichten im Rahmen der CSRD oder eines anderen Berichterstattungsstandrads, die den Anlass für die Durchführung einer Doppelten Wesentlichkeitsanalyse bilden. Der Nutzen einer Doppelten Wesentlichkeitsanalyse ist aber nicht auf diese Anwendungsfälle beschränkt und Unternehmen sollten die Verpflichtung zur Durchführung einer Doppelten Wesentlichkeitsanalyse kein Ärgernis, sondern als wichtigen Teil einer vorausschauenden Managementstrategie begreifen: Da die Doppelte Wesentlichkeit über die eigene Geschäftstätigkeit hinausgeht und die gesamte Wertschöpfungskette einbezieht, kann sie dazu beitragen, potenzielle Risiken und Chancen in der Geschäftstätigkeit aufzudecken. Eine professionelle Einschätzung der Doppelten Wesentlichkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung von Strategien zur Minimierung dieser Risiken, um Ihr Unternehmen langfristig zu schützen und mögliche Chancen zu nutzen.
Die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse am Beispiel
Einer der wichtigsten Vorteile, die die Durchführung einer Doppelten Wesentlichkeitsanalyse in Bezug auf das Nachhaltigkeits-Reporting bietet, ist die Reduzierung von Komplexität: Die CSRD enthält über 100 Themen. Aber welche Bereiche des Nachhaltigkeits-Reportings sind für Ihr Unternehmen denn nun tatsächlich relevant? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse.
Denken wir zur Veranschaulichung an das Beispiel eines beliebigen Unternehmens aus dem Bereich IT-Lösungen. Ausgehende von der Inside-Out-Perspektive müssen wir uns im Rahmen der Doppelten Wesentlichkeitsanalyse zunächst fragen, welche Auswirkungen die geschäftlichen Aktivitäten unseres Beispielunternehmens auf Außenwelt haben.
Aus der Wirkungsperspektive wäre so beispielsweise festzuhalten, dass unser IT-Unternehmen energieintensive Rechenzentren für das Hosting und die Verwaltung von Software-Lösungen betreibt. Dies trägt zu einem erheblichen CO2-Fußabdruck bei und hat negative Auswirkungen auf die Umwelt.
Umgekehrt zeigt uns die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse aus der Outside-In-Perspektive eine finanzielle Wesentlichkeit im Sinne eines Risikos durch die Abhängigkeit von externen Energiekosten. Steigende Preise für die Stromversorgung der Rechenzentren könnten dazu führen, dass unser fiktives IT-Unternehmen höhere Betriebskosten einkalkulieren muss, die sich letztendlich negativ auf das Geschäftsergebnis und die Wettbewerbsfähigkeit auswirken können.
Durch die Zusammenführung der Wirkungs- und der finanziellen Wesentlichkeitsperspektive erhalten wir ein klares Bild der Auswirkungen des IT-Unternehmens in Bezug auf seine Rechenzentren. Wir verstehen, wie sich der energieintensive Betrieb der Rechenzentren des Unternehmens auf die Außenwelt auswirkt und welche potenziellen Risiken damit verbunden sind. Damit haben wir einen guten Überblick über ein spezifisches Thema. Aber wie erhalten wir den Gesamtüberblick über alle relevanten Themen und Einflussfaktoren? Das geht nur in dem wir alle Aspekte einzeln prüfen und Schwellenwerten für die Relevanz festlegen. Das Ergebnis lässt sich dann in einer Matrix der Doppelten Wesentlichkeit darstellen.
Die Matrix der Doppelten Wesentlichkeit
Die Ergebnisse der Doppelten Wesentlichkeitsanalyse können in einer Matrix dargestellt werden, um einen klareren Überblick darüber zu erhalten, welche Themen für Ihr Unternehmen relevant sind und über welche der Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS) im Rahmen der CSRD berichtet werden muss.
Dabei gibt es keine fest definierte Methode zur Erstellung einer Doppelten Wesentlichkeitsmatrix im Rahmen der CSRD. Für die adäquate Festlegung der relevanten Schwellenwerte ist deshalb Erfahrung bei der Durchführung entsprechender Projekte erforderlich. Unsere Experten unterstützen Sie dabei, die Themen anhand von Kriterien wie
Bedeutung, Umfang, Vermeidbarkeit, und die möglichen Risiken und Chancen richtig einzuschätzen.
Das folgende Beispiel einer Doppelte Wesentlichkeitsmatrix, die im Rahmen eines CSRD-Projektes vom First Climate Consulting-Team erstellt wurde, gibt einen beispielhaften Überblick über berichterstattungsrelevante ESG-Themen, die im konkreten Fall im Rahmen einer konkreten Doppelten Wesentlichkeitsanalyse ermittelt wurden.
Die Illustration listet in den hellblauen bzw. dunkelblauen Bereichen der Matrix die Themen auf, die im konkreten Beispiel im Rahmen der CSRD berichtsrelevant sind. Themen mit geringen Auswirkungen, die also näher am Schnittpunkt der beiden Achsen verortet sind (grauer Bereich) sind hingegen im konkreten Fall nicht relevant im Sinne des verpflichtenden Nachhaltigkeits-Reportings.
Genau aus diesem Grund ist die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse das Herzstück des CSRD-Berichts. Sie dient im Wesentlichen als Kompass, der Ihnen zeigt, über welche Themen und anhand welcher der verschiedenen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) Ihr Unternehmen berichten muss, bzw. welche Themen beim Nachhaltigkeits-Reporting de-priorisiert werden können.
Wie lange dauert der Prozess der Doppelten Materialitätsprüfung?
Der Prozess der Doppelten Wesentlichkeitsprüfung variiert je nach Geschäftskontext, Größe und relevanten Stakeholdern eines Unternehmens. Daher ist es wichtig, so früh wie möglich damit zu beginnen, um Ihren Geschäftskontext gründlich zu verstehen und genau zu bewerten. Wenn Ihr Unternehmen in der Vergangenheit noch keine Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt hat, wird die erste Analyse mehr Zeit in Anspruch nehmen. Wir können bei diesem Schritt eng mit Ihnen zusammenarbeiten, um die Daten genau zu erfassen und zu analysieren.
Wie oft muss eine Doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt werden?
Die Frage, wie oft ein Unternehmen eine Doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchführen sollte, lässt sich nicht pauschal beantworten und muss – bezogen auf den jeweiligen Einzelfall – differenziert betrachtet werden. Als allgemeine Richtschnur aber davon ausgegangen werden, dass für die Durchführung der Doppelten Wesentlichkeitsanalyse eine Frequenz von 2-3 Jahren als sinnvoll angesehen werden kann.
Wenn Ihr Unternehmen jedoch bedeutende Veränderungsprozesse durchläuft oder auch ein starkes Wachstum erfährt, sich also die Faktoren, die die Beurteilung der Wesentlichkeit maßgeblich beeinflussen, verändern, kann dies eine frühere Neubewertung der Doppelten Wesentlichkeit erforderlich machen. Auch globale Ereignisse können sich auf den Zeitpunkt der nächsten Bewertung der Doppelten Wesentlichkeit auswirken. Die Energiekrise in Europa im Jahr 2021 hat beispielsweise die Struktur der Energieversorgung und -nutzung vieler Unternehmen nachhaltig beeinflusst. Die unerwartete und plötzliche Veränderung hat viele Unternehmen in eine völlig andere Situation versetzt als zuvor. In jedem Falle gilt: Unternehmen sollten ihre Doppelte Wesentlichkeit und die damit im Zusammenhang stehenden Themen im Auge behalten und kontinuierlich Ihre Strategie zur Bewertung ihrer Doppelten Wesentlichkeit überprüfen.
Die Analyse der Doppelten Wesentlichkeit ist der erste Schritt zum erfolgreichen CSRD-Reporting
Eine Bewertung der Doppelten Wesentlichkeit kann einen umfassenden Überblick über die Auswirkungen Ihres Unternehmens auf die Außenwelt und vice versa geben. Wenn es jedoch um die Berichterstattung gemäß der CSR-Richtlinie und der entsprechenden ESRS geht, ist die Analyse der Doppelten Wesentlichkeit nur der Anfang. Als Ausgangspunkt ist sie jedoch von entscheidender Bedeutung für die effiziente und erfolgreiche Umsetzung Ihrer Nachhaltigkeits-Berichtserstattungspflichten im Rahmen des CSRD-Prozesses. Wir empfehlen deshalb dringend, möglichst frühzeitig Kontakt mit einem CSRD-erfahrenen Partner aufzunehmen und sich professionelle Unterstützung bei der Bewältigung der CSRD-Aufgaben zu suchen, First Climate steht Unternehmen dafür als Ansprechpartner gerne zur Verfügung. Unser erfahrenes Consulting-Team unterstützt Sie dabei, die Herausforderungen des CSRD-Prozesses erfolgreich anzunehmen und die Chancen effizienter Berichterstattung aktiv zu nutzen.
Sprechen Sie uns an und machen Sie jetzt den ersten Schritt zur Analyse der Doppelten Wesentlichkeit im Rahmen des CSRD-Reportings: impact@firstclimate.com
Über die Autorin
Hannah Graf-Edinger ist im First Climate Consulting-Team Senior-Beraterin für unternehmerische Klimastrategien und spezialisiert auf die Themen Carbon Accounting und Nachhaltigkeitsberichterstattung. Mit ihrem Hintergrund im Umwelt- und Energierecht zeichnet sie sich durch juristische Expertise im Bereich nationaler und internationaler Nachhaltigkeits-Normen sowie deren konkreten Anwendung aus. Im Rahmen von Kundenprojekten liefert Hannah strukturierte Analyse zur Lösung komplexer Sachverhalte – zuletzt insbesondere im Rahmen der CSRD. Bevor sie 2023 zu First Climate kam, arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in verschiedenen umwelt- und klimarechtlichen Forschungsprojekten.
Kontakt: impact@firstclimate.com